Geschichte

Harro von Senger:

Zur Geschichte der Sinologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. (1945-2007)[1]

Vor der Etablierung des Fachbereichs Sinologie (Wintersemester 1972/73) gab es an der Albert-Ludwigs-Universität (ALU) während etwa drei Jahrzehnten  chinabezogene Lehrveranstaltungen. Keine Spur vom Reich der Mitte findet sich dagegen vor 1945 im Lehrangebot der ALU. Man findet in dieser Zeitspanne lediglich Hinweise beispielsweise auf Sprachkurse in Sanskrit (1926) und Uigurisch (Schacht, 1932).

Erstmals taucht in einem Vorlesungsverzeichnis der ALU im Wintersemester 1946/47 der Terminus „Orientalische Philologie“ auf. Darunter aufgeführt werden neben Arabisch und Osmanisch-Türkisch auch „Chinesische Lyrik“ (2 SWS). Diese Lehrveranstaltung  wird von Herrn Professor Dr. Johannes Lohmann (1895-1983, ab 1949 an der ALU ordentlicher Professor für vergleichende Sprachwissenschaft), gehalten. Vom Sommersemester 1947 bis zum Sommersemester 1949 gibt er, und zwar im Fachbereich „Vergleichende Sprachwissenschaft“, jeweils eine „Einführung in die klassische chinesische Schriftsprache“ und eine „Einführung in die nordchinesische Umgangs- und Verkehrssprache“.

Vom Wintersemester 1949/50 an steht der reine chinesische Spracherwerb im Vordergrund. Als Lehrbeauftragter für „Chinesische Sprache“ gibt bis zum Sommersemester 1955 der Archivar Herr Werner Rilz   eine  „Einführung in die chinesische Schriftsprache“ und „Chinesische Lektüre (klassische Texte)“. 1953 veranstaltet er aber auch eine „Lektüre chinesischer Tageszeitungen“. Diese Lehrveranstaltungen werden vom  Sommersemester 1954 bis zum Sommersemester 1955 unter der Rubrik „Sprachwissenschaft und Philologie - Vorlesungen und Übungen am Orientalischen Seminar“ angeboten.

Kein Chinesisch wird im Wintersemester 1955/56 angeboten. Im Sommersemester 1956 stehen Chinesisch und erstmals Japanisch  im Lehrangebot des Vorlesungsverzeichnisses, aber ohne genauere Angaben lediglich mit dem Vermerk „Siehe Anschlag am Schwarzen Brett“.

Vom Wintersemester 1956/57 bis 1969 amtet Herr Paul Shih-yi Hsiao, ehemals Fu-Jen-Universität Peking, der auch im Gedankenaustausch mit Martin Heidegger stand und darüber auch publizierte, zunächst als Lehrbeauftragter und seit dem Sommersemester 1957 als Lektor. Mit ihm tritt zur blossen chinesischen Sprachlehre auch die Beschäftigung mit inhaltlichen Aspekten der chinesischen Kultur, insbesondere der klassischen chinesischen Philosophie hinzu. So doziert er im Sommersemester 1957 ausser über „Chinesische Sprache und Etymologie (Anfänger und Fortgeschrittene)“ auch über „Philosophie und Sprachstil von Laotse (für Fortgeschrittene)“.  Im Wintersemester 1957/58 und im Sommersemester 1958 liest er über den „Begriff des Tao nach dem Dao-dä-dsching“ (zweistündig, 14täglich). In den folgenden Jahren bietet er die gleichen oder ähnliche Themen an. 1959 lehrt Herr „Dr.phil. Paul Hsiao, Lektor, chinesische Sprache und Philosophie“  „Chinesische Sprache und Etymologie für Anfänger und Fortgeschrittene I und II“ (je zweistündig, 14täglich) sowie „Einführung in den Taoismus und Einklang zwischen Tao und Dö nach dem Dau-Dö-Dsching“. Diese Lehrveranstaltungen werden zusammen mit „Japanisch“ in der Philosophischen Fakultät unter „Südost- und ostasiatische Sprachen“ aufgeführt. Auch Japanisch wird angeboten, wobei die Lehrkraft zunächst lediglich mit „N.N.“ gekennzeichnet ist. Im Wintersemester 1959/60 erfährt man den Namen des Japanisch-Lektors, nämlich Hirao Kozo. Im Wintersemester 1965/66 heisst der Japanisch-Lektor „Seki“ und 1970 „Fujimoto“.

Von 1960 bis 1966/67 wirkt an der ALU neben Herrn Paul Hsiao neu Herr Dr. phil. Ulrich Unger, Privatdozent für Sinologie (geb. 1930). Zunächst bieten die beiden Lehrkräfte nur je zwei Kurse an, dann deren vier oder im Wintersemester 1963/64 (Unger) sogar deren sechs und im Wintersemester 1964/65 deren acht (Hsiao). Themen der von Herrn Hsiao dargebotenen Kurse sind etwa „Dschün-Dz“; „Han-Fei“; „Übung  chinesische Poetik“; „Orakelinschrift“; „Lunyu“  sowie „Lektüre von Yuan-Dramen“. 1966 erhält Herr Unger als Nachfolger von Herrn Tilemann Grimm  einen Ruf an die Universität Münster, wo er bis zu seinem Rücktritt als Direktor des Ostasiatischen Seminars wirkt.

Von 1970 bis 1984 ist Frau Dr.phil. Nelly Naumann, Japanologie, an der ALU tätig, erst als Privatdozentin, dann als Professorin. 1972 tritt Frau Dr. Helga Turban (Heidelberger Dissertation „Das Ching-Chu-sui-shi-chi. Ein chinesischer Festkalender“ 1971) als Sinologie-Lektorin an ihre Seite. Im WS 1972/73 werden erstmals, und zwar innerhalb der Philosophischen Fakultät II im Rahmen der „Orientalistik“, „Japanologie“ (bis 1984) und „Sinologie“ je getrennt aufgeführt. Für die Japanologie zeichnen Frau Prof. Dr. Frau Nelly Naumann und der Lektor Herr Prof. Dr. Nitta Yoshiyuki, für die Sinologie Frau Dr. Helga Turban mit „Übungen und Sprachkursen“ verantwortlich.  . Dieser Zustand dauert bis zum Wintersemester 1973/74. 1974 beginnt Herr Dr. phil. Peter Greiner (geb. 1940) seine Lehrtätigkeit an der ALU, zunächst als Lektor mit Lehrveranstaltungen wie  „Textlektüre“ und „Sprachkurse“, seit 1978 auch mit Seminaren, zum Beispiel über „Chinesische Verfassungen im 20. Jahrhundert“, „Minderheiten“, den „Begriff ‚Demokratie’ in Mao-Tse-tungs Werken“, das „Strafgesetz in der Volksrepublik China“ und „Sicherheitsorgane der Volksrepublik China“.  Japanisch-Lektor ist Herr Professor Watanabe Takeshi. Auf das Wintersemester 1980 wird Herr Peter Greiner zum ersten Sinologie-Professor der ALU ernannt. Seine Lehrveranstaltungen drehen sich um chinesischer Rechts-, insbesondere Verwaltungsgeschichte, Ritual- und Zeremonialwesen, Buddhismus und Literatur, insbesondere Dichtkunst.   Auf  Ende des Sommersemesters 2005 tritt er in den Ruhestand. Neben zahlreichen Magisterarbeiten betreute er 5 Doktorarbeiten und 2 Habilitationen. Vom WS  1989 bis 1991 arbeitet im Fachbereich Frau Dr. Maria Rohrer als wissenschaftliche Angestellte, von 1991 bis 1997 als wissenschaftliche Assistentin.

Seit  dem Wintersemester 1982/83 führt Frau Dr. Gudula Linck-Kesting (1984: Dr.phil.), seit 1980 Lektorin für Chinesisch, Seminare, z.B. über „Familienordnung im vormodernen China“ oder „Bauernaufstände im China der Kaiserzeit“, und Sprachkurse durch. Nicht lange nach ihrer Habilitation im Fach Sinologie an der ALU (1984) wird sie als Ordinaria für Sinologie an die Universität Kiel berufen (1990).  Seit 1986 bietet Frau Zhou Hsiu-fen Vetter, die aus Taiwan stammt, Chinesisch-Sprachkurse an, und ab 1989 gibt Herr Dr. Chien She-yen, ebenfalls aus Taiwan, zunächst als Lehrbeauftragter, dann als halber Lektor, Kurse in chinesischer Umgangssprache. Seine Nachfolger sind die Herren Zhang Baosheng (1993-96), Qian Guiyuan (1996-1999) und seit 1999 Frau Dr. Hu-von Hinüber. Seit 1984 tritt an die Stelle der Japanologie ein halbes Japanisch-Lektorat, das bis 1989 von Herrn Peter Ackermann betreut wird. Danach amten als Japanisch-Lektor(inn)en Frau Yamada Toshi (1989-1992), Herr Yamaguchi Hideki (1992-1996), Frau Yuo Shino (1997-2001), Frau Habata Hiromi (2001-2008) und Frau Kazuko Fujisaki (WS 2008/09). Im Dezember 2008 sperrte das Dekanat der Philosophischen Fakultät die halbe Japanisch-Lektorenstelle mit Wirkung ab Sommersemester 2009. Zwischen 1990 und 1995 veranstaltet Frau Dr. Maria-Verena Blümmel Seminar wie „Inselreich Japan – historische Entwicklung am Rande der Welt“ und „Japanische Begegnung mit dem Ausland“.

Von 1990-94 wurde Koreanisch angeboten.

Von den beiden Fachbereichen Japanologie und Sinologie bleibt seit dem Wintersemester 1989/90 nur noch die Sinologie, vertreten durch die beiden Professoren Greiner und von Senger, übrig. Dank einem Halblektorat für die japanische Sprache bleibt indes der japanische Sprachunterricht erhalten, der mit dem Sinologiestudium insofern verknüpft ist, als der Nachweis von Japanisch-Kenntnissen eine Voraussetzung für die Zulassung zur Sinologie-Magisterprüfung ist.

Am 1. März 1989 tritt Herr Dr.iur.Dr.phil. Harro von Senger (geb. 1944) sein Amt als zweiter Sinologie-Professor der ALU an. Seine Schwerpunkte sind das Recht der Volksrepublik China, Sinomarxismus und  chinesische Militärtheorie. 2003 habilitiert sich Frau Dr. Gotelind Müller-Saini im Fach Sinologie und wirkt kurz als Privatdozentin an der ALU, um 2004 als Professorin an die Universität Heidelberg berufen zu werden. Von der Studierendenstatistik her gesehen ist die Sinologie der zweitgrösste Fachbereich des Orientalischen Seminars der ALU, mit nur knapp weniger Studierenden als die Islamwissenschaft (siehe Statistik).

Seit 2001 organisiert Professor von Senger alljährlich ein interdisziplinäres Seminar mit Kollegen der Fakultät für Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaften, mit denen er auch die Buchreihe „Kulturelle Ökonomik“ (LIT-Verlag) betreut, und er beteiligt sich regelmässig an asienwissenschaftlichen Ringvorlesungen. Von 2003 bis 2005 wurde auf seine Initiative hin das interdisziplinäre sinologisch-wirtschaftswissenschaftliche Forschungsprojekt „Strategie und Strategeme – Die chinesische Listenlehre im interdisziplinären Dialog“ durchgeführt. Im Rahmen dieses Projekts führte die Freiburger Sinologie in Zusammenarbeit mit Professor Bernd Schauenberg und Herrn Dr. Klaus Kammerer von der Fakultät für Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaften am 1. Dezember 2006 ein ganztägiges internationales interdisziplinäres Symposium über „Strategie und Strategeme: Die chinesische Listenlehre im interdisziplinären Dialog“ durch. Es nahmen daran teil  Prof. Peter Sloterdijk, Karlsruhe, Prof. CHIAO Chien, Hong Kong/Taibei, Prof. WEE Chou Hou, Singapour, Prof. Keith Rosenn, Miami, Prof. John W. Eichenseher, Michigan, et Herr. GE Cungen, Suzhou/Volksrepublik China). Auf Antrag von Professor von Senger erhielt der chinesische Nachwuchsforscher Herr Ge Cungen, unter anderem ein Spezialist der Strategemkunde, ein Konrad-Adenauer-Stipendium für einen einjährigen Studienaufenthalt 2007-08 in Deutschland mit Betreuung in Freiburg i.Br. zugesprochen. Der Studienaufenthalts Herrn Ges wurde mit einem Workshop über Supraplanung (Konzerthaus Freiburg, 15. November 2008) abgeschlossen.

Herr Professor Greiner wurde von Frau Dr. Monika Gänssbauer (WS 2005/06), Herrn Dr. Matthias Richter (SS 2006), Frau PD Dr. Antje Richter (WS 2006/07 und SS 2007), Frau PD Dr. Ylva Monschein (WS 2007/08 und 2008/09) und von Frau PD Dr. Dorothee Schaab-Hanke (SS 2008) vertreten. Im März 2007 entschied das zuständige Ministerium in Stuttgart, dass die Stelle von Professor Greiner neu ausgeschrieben werden könne. Der Ausschreibungstext lautet:

Vollzeitstelle, Eintrittstermin: 01.04.2008

Am Orientalischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. ist zum 01.04.2008 die Stelle einer Professorin / eines Professors (W3) für Sinologie zu besetzen, vornehmlich Kultur- und Geistesgeschichte Chinas. Die Zusammenarbeit mit den Nachbargebieten ist Voraussetzung. Der Bewerber / die Bewerberin muss habilitiert oder durch entsprechende Qualifikation ausgewiesen sein. Auf die grundsätzliche Befristung des Dienstverhältnisses im Falle der ersten Berufung in ein Professorenamt wird hingewiesen. Ausnahmen sind insbesondere möglich, wenn Bewerber aus dem Ausland oder aus dem Bereich außerhalb der Hochschule kommen. Bei einer späteren Übernahme in das Lebenszeitbeamtenverhältnis oder das unbefristete Angestelltenverhältnis ist kein erneutes Berufungsverfahren erforderlich.

Die Stelle ist unbefristet. Die Vergütung erfolgt nach W3. Die Universität strebt eine Erhöhung des Frauenanteils an und fordert ausdrücklich entsprechend qualifizierte Frauen zur Bewerbung auf.

Im WS 2007/08 wurde der B.A.-Studiengang Sinologie, Hauptfach und Nebenfach, eingeführt.

(Stand: 10. Mai 2008)

[1] Ich stütze mich auf eine Recherche der Freiburger Sinologie-Studentin Frau Claudia Hoffmann, der ich hiermit für Ihre wertvolle Mitarbeit herzlich danke.

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